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Predigt (Herr Breuning)

Predigt

zur Trauerfeier für Heinrich Theodor Gutbrod
am 11. September 2002
im Betsaal in Wilhelmsdorf

(Pfarrer i. R. Hans-Albrecht Breuning)

Liebe, verehrte Frau Gutbrod,

liebe Familie Gutbrod,

liebe Trauergemeinde!

Nach dem Wunsch von Heinrich Gutbrod hören wir am Tag des Abschieds auf das Wort Heiliger Schrift 1. Joh. 3, 1.

„Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, dass wir Gottes Kinder sollen heißen - und wir sind es auch!“

Heinrich Gutbrod hat uns einen Imperativ, einen Befehl aufgegeben, als die angemessene Form, seiner zu gedenken: Sehet!
Sehet, dies Wunder,
Wie tief sich der Höchste hier beuget!
Sehet, die Liebe, die endlich als Liebe sich zeiget!
Das kann nur so gemeint sein, dass es nichts Wertvolleres und Entscheidenderes im Leben Heinrich Gutbrods gegeben hat, als diesem Imperativ zu gehorchen:
Sehet die Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes vom Vater voller Gnade und Wahrheit!

Es ist ja gar nicht so leicht, dieser Aufforderung zu folgen. Dafür gibt es Gründe: Locken und werben doch so viele Bilder unsere Blicke und unser Streben zu allen möglichen Zielen. Deshalb bedürfen wir der Sehhilfen. Wir brauchen Personen, die uns helfen, Gottes unendliche Liebe glaubend festzuhalten. Wir nennen sie Zeugen. Für viele von uns ist - nicht war - Heinrich Gutbrod ein Sehhelfer, ein Zeuge der unendlichen Liebe Gottes, die uns ein Leben lang zu Empfängern, zu Kindern Gottes macht.

Geboren am 16. September 1907 in Kamerun, als zweiter Sohn des Missionarsehepaares Johannes und Berta Gutbrod, geborene Elsässer, erlebt er die Kleinkinderjahre in Afrika. Aber so, wie einst seine Mutter, ohne den Vater zu kennen, in die Fremde reiste, um des Vaters Ehefrau zu werden, so muss auch Heinrich allein mit fünf Jahren in das Missionshaus in Basel ins Internat. Als die Eltern ab 1915 in der Heimat sind, geht das Wanderleben weiter: Plüderhausen, Steinebronn, Tübingen beim Großvater, dann schließlich Bad Teinach. Von dort besucht er das Gymnasium in Calw und macht schließlich sein Abitur in Pforzheim. Sein sich dauernd wandelndes Zuhause war für ihn lebenslang etwas ganz Besonderes: Die Eltern und die drei Brüder - zwei davon fielen im 2. Weltkrieg - waren für ihn Zeugen, Begleiter auf dem Weg zum Glauben. Ein Leben lang, gerade als Internatsleiter, blieb in fast romantischer Weise die Familie für ihn die Gemeinschaftsform, die allen anderen vorzuziehen war. Er wollte den Jugendlichen nicht nur Vaterersatz, irgendwie wollte er allen so etwas wie ein echter Vater sein, überzeugt, dass er nur so ein Zeuge für die Liebe Gottes sein konnte. Darüber hinaus brachte er ein Grundvertrauen aus seinem Elternhaus mit, das ihn zu einem Mann werden ließ, der allen vertraute, auch wenn sie dieses Vertrauen längst verspielt hatten. Ob das seine Schüler oder Erwachsene, ob es seine Kollegen oder Vorgesetzten waren, selbst bösen Mächten vertraute er viel zu lange. Uns allen hat sein Humor, seine Fröhlichkeit, seine nie verletzende Ironie immer wieder gut getan.

Das Studium, unterbrochen durch eine Knochenmarkentzündung, die ihm lebenslang zusetzte, sein Referendariat und seine Assessorenzeit, das war, nachträglich gesehen, nur die Vorbereitung seines Dienstes in Wilhelmsdorf, den er 1932 antrat und 1973 beendete, 41 Jahre an derselben Schule. Zuerst war das eine kleine private Internatsschule mit abnehmender Schülerzahl, dann eine vierklassige staatliche Zubringerschule nach Auflösung des Knabeninstituts 1939. Lange Zeit hatte sie nur einen Lehrer für alle Klassen und Fächer: Heinrich Gutbrod. 1945 schon kann die Internatsschule neu beginnen, und in den fünfziger und sechziger Jahren blühte sie und erhielt eine Oberstufe in der Trägerschaft der Zieglerschen Anstalten, ab 1969 auch eine Realschule im Aufbau. Seit 1939 war er der Leiter. Diese Schule war sein KI, dem er auch im Ruhestand treu blieb. Daneben war er tätig in allen Ebenen der Zieglerschen Anstalten, der Gemeinde Wilhelmsdorf, des Hoffmannhauses, des Evangelischen Schulbundes und vor allem der Brüdergemeinde, deren Vorsteher er wurde. Und das alles zusammen mit seiner geliebten Frau Emmi, geb. Ziegler, die als Hausmutter und Hauswirtschaftsleiterin in der großen Internatsfamilie wirkte. Sie, die Mutter von sechs Kindern, von denen noch vier den heutigen Tag erleben, starb im November 1975. 1978 heiratete Heinrich Gutbrod, wie er sagte, für seine letzten zwei Jahre der Jugendlichkeit, seine Frau Rose, geb. Werner. Staunend und dankbar erlebten beide, dass mehr als zwanzig daraus wurden.

Was nun hat diesen Mann zum Zeugen, zum Sehhelfer gemacht? Er selbst würde diese Frage als unangemessen zurückweisen, aber dann könnte er antworten: „Der liebe Gott selbst“. Wir aber, für die er zum Transparent der Liebe Gottes wurde, würden vielleicht sagen: seine Treue. Welchen Schüler, dessen Adresse er kannte, hat er nicht begleitet, solange er konnte? Wen in Wilhelmsdorf hat er aus gegebenem Anlass nicht besucht, daheim oder am Krankenbett? Er war der väterliche Freund und der Seelsorger vieler Menschen. Man sollte seine Telefonbücher für das Wilhelmsdorfer Archiv auf-bewahren. Sie sind, möchte ich behaupten, weltweit einmalig. Auch wir ehemaligen Kollegen wussten uns weit über das übliche Maß hinaus getragen von der Treue Gutbrods, die durchscheinend war für die Barmherzigkeit und Treue, die ihn getragen hat.

Aber warum wollte er ein Kind Gottes sein und bleiben? Er, der doch selbst sich soviel Mühe gab, Menschen dazu zu verhelfen, verantwortungsvolle Erwachsene zu werden? Nicht alle Wesensmerkmale des Kindes sind angesprochen, wenn es heißt: „Ihr seid, wir sind Kinder Gottes.“ Im Grunde ist es nur ein Merkmal, auf das es ankommt: Ein Kind lebt vom Empfangen. Vom Begriff her ist es ohne Erwachsene, in der Regel ohne Mutter und Vater nicht zu denken. Das macht sein Kindsein aus, dass es in dieser Gemeinschaft lebt, dass es vom Empfangen lebt.

In der Abhängigkeit vom himmlischen Vater, im Empfangen erfuhr Heinrich Gutbrod die selige Kind-schaft der Kinder Gottes, er, der ein so treuer Beter und Fürbitter war. Und gerade dadurch war er ein erwachsener Mann. Der sterbende Freund, der Sprache gerade noch zeichenhaft mächtig, erbat von mir, wie auch von anderen, dass ihm der Text vorgelesen wird. Er war in den Jahren, in denen er fast blind und schwerhörig war, immer mit dem Text des kommenden Sonntages eine Woche umgegangen. Und so lebte er bis zum letzten Atemzug vom Empfangen des Wortes, des Wortes, das der Christus Jesus ist.

Nun ist er heimgegangen. Er hat uns einen Befehl hinterlassen: „Sehet, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, dass wir Gottes Kinder sollen heißen - und wir sind es auch!“ Oder das andere Wort, das er auch für diese Stunde aufgeschrieben hat: „Er selbst, der Vater, hat euch lieb“ (Joh. 16, 27). Kann ein Befehl trösten, Euch, die Ihr traurig seid? Die Brüdergemeinde, die ihren Treuesten verloren hat? Er kann es. Dieser Befehl hat es in sich. Das Hören und Gehorchen stellt uns auf den Grund der Gotteskindschaft, deren Zeuge Heinrich Gutbrod ist. Ist, denn er bleibt in Gottes Hand.

Amen